Workshop IX, Benjamin Steininger, 25. August 2020

Benjamin Steininger stellt das in Kürze erscheinende Buch Erdöl: Ein Atlas der Petromoderne? (Matthes & Seitz, Berlin 2020) vor, das in 43 Kapiteln ein weites Panoptikum unterschiedlicher Technologien, Geographien und kultureller Praktiken präsentiert, die sich auf Erdöl beziehen und darauf beruhen.

Eines der Kapitel trägt den Titel „Schwarzer Spiegel“. Chemiker*Innen untersuchen die Reflexion und optische Aktivität von Öl, aber auch Kulturtheoretiker*Innen interessieren sich dafür. Doch was sehen wir? Was können wir sehen? Was können wir durch Öl über unsere eigene Subjektivität lernen?

Es ist wichtig, sich zur Beantwortung dieser Frage mit dem Medium selbst auseinanderzusetzen. Polarisation ist ein Werkzeug, um Wissen über lichtreflektierende Substanzen zu erschließen. Durch Polarisation können wir etwas über ihre Molekülstrukturen lernen, da Licht von asymmetrischen Molekülen beeinflusst wird.

Dieses Verständnis der Polarisation stützt sich auf die Arbeit des Geologen und Chemikers Hans Höfer (1843-1924), einer wichtigen Persönlichkeit in der Geschichte der Montanuniversität Leoben. Die Stadt Leoben selbst kann als Nische gesehen werden, als ein bestimmter Ort mit spezifischen Ritualen und Traditionen. Leoben gehört zu einer langen Denktradition über die Substanz Rohöl.

Polarisation sagt uns auch, wie sehr Erdöl Teil der Entwicklung des Lebens auf der Erde ist. Bohrstandorte verwalten neben technischen auch Daten zu Flora und Fauna. Und in sehr seltenen Fällen können Lebewesen eng mit Öl zusammenleben. Die Erdölfliege, zum Beispiel, lebt in den Erdölsümpfen Kaliforniens und schafft es, in der Toxizität des Öls zu bestehen. Sie könnte als Metapher dafür gesehen werden, wie Leben möglich ist.

Auf die Frage wie wir die Verbindung der Laborexperimente in Leoben mit dem täglichen Leben verdeutlichen können, weist Benjamin Steininger darauf hin, dass es für Menschen, die in der Öl- oder Autoindustrie arbeiten, schwierig ist, die Gesamtheit ihrer Tätigkeiten zu erfassen. Dies gilt auch für Laborarbeiten wie jene in Leoben. Er schlägt vor, dass wir die Wissenschaftler fragen, ob es für sie wichtig ist zu wissen, woher das Öl kommt.

Laut Benjamin Steiningers Überlegungen zum Projekt Reflecting Oil ist die direkte Wahrnehmung der Substanz Erdöl einer der wertvollsten Aspekte des Projekts ist und erinnert uns jedoch daran, dass diese Art der Wahrnehmung in einigen Kulturen tabu ist.

Er zitiert Brecht und betont, dass die direkte Wahrnehmung gleichzeitig alles und nichts sagt. Wie im Zitat von Brecht – „Eine Fotografie der Krupp-Werke oder der AEG erzählt beinahe nichts über diese Institute. Die eigentliche Realität ist in die Funktionale gerutscht.“ – müssen wir jenen bestimmten Ort finden, an dem die Realität offenbart wird. Ölverschmutzungen können, wie Ernst Logar vorschlägt, zur direkten Wahrnehmung beitragen, sowohl als Zeichen von Reichtum als auch von Umweltkatastrophen. Die Unsichtbarkeit des Erdöls kann ein Zeichen seiner mächtigen Präsenz sein.

Reflexion I Spiegel I Polarisierung I
Hans Höfer I Leoben I Erdölfliege I Toxizität I Ölverschmutzung I Unsichtbarkeit I Präsenz