Workshop XXI, Karen Pinkus, 15. März 2021

Karen Pinkus, Professorin für Italienisch und vergleichende Literaturwissenschaft, betrachtet in ihrem breit gefächerten spekulativen Vortrag, mögliche Post-Erdöl-Narrative. Wie könnten sie aussehen, und inwiefern würden sie „Erdöl“-Narrativen oder anderen Erzählungen unserer jüngsten Vergangenheit und Gegenwart ähneln? Sie beginnt, indem sie zwei Erdöl-Narrative vorstellt: Öl! (1926-27) von Upton Sinclair und Petrolio (1992) von Pier Paolo Pasolini. Die charakteristischen Elemente von Erdöl-Narrativen zu definieren könnte uns vielleicht helfen uns Post-Erdöl-Narrative und somit die Zukunft vorzustellen.

Aktuell fokussiert Karen Pinkus in ihrer Arbeit die Epoche, die durch das Ende von Kohle und den Beginn des Erdöls geprägt ist. Sie untersucht die Beziehung von Oberfläche und Untergrund, das Unterirdische und das Narrativ. Die Bilder von unterirdischen Tunneln in Georgius Agricolas De re metallica (1556), dem wichtigsten Buch über Bergbau der Renaissance, sind hier wichtige Bezugspunkte. Jules Vernes Reise zum Mittelpunkt der Erde (1864) mit seiner Erforschung des Erduntergrunds verdient ebenfalls eine tiefergehende Lektüre. Eine zentrale Frage, die Pinkus’ Forschung begleitet, ist: Woher wissen wir, was sich im Untergrund befindet und wie erzählen wir eine Geschichte darüber? Karen Pinkus macht uns auch auf das visuelle Modell der Schnittdarstellung aufmerksam, das auf den Konventionen der linearen Perspektive beruht.

Ein weiterer wichtiger Bezugspunkt für sie ist Reading for the Plot: Design and Intention in Narrative (1984) des Literaturwissenschaftlers Peter Brooks. In diesem Buch, das sich auf die narrative Tradition des 19. Jahrhunderts konzentriert, legt Brooks dar, dass Handlungen sowohl organisierende als auch intentionale Strukturen darstellen. Er stützt sich auf die Psychoanalyse, aus der er ein Modell für die Annäherung an den Text als „System innerer Energien und Spannungen, Zwänge, Widerstände und Wünsche“ entlehnt (Brooks, S.XIV). Für Pinkus ist dieser psychoanalytischen Ansatz nützlich, um das Narrativ mit der Geschichte des menschlichen Lebens und Begehrens zu verknüpfen. Sie sieht eine Verbindung zwischen Brooks und Kohle und spekuliert, dass man sie vielleicht auch mit Erdöl und Post-Erdöl verbinden könnte.

Duria Antiquior, a more ancient Dorset, ein 1830 vom englischen Geologen Henry De la Beche gemaltes Aquarell, hat eine wichtige Rolle im Denken über die Erde gespielt. Duria Antiquior war die erste bildliche Darstellung einer Szene prähistorischen Lebens, die auf Beweisen aus fossilen Rekonstruktionen beruhte. De la Beches Gemälde, eine interessante imaginäre Darstellung, bietet eine Ansicht auf zwei Ebenen, die sowohl Geschehnisse über, als auch unter der Wasseroberfläche zeigt. Es kann möglicherweise eine Reflexion darüber eröffnen, wie wir uns die Erde vorstellen, und das Nachdenken über den Untergrund und seine Beziehung zu Zeit anregen. Das Narrativ gibt uns einen zeitlichen Rahmen, der beeinflusst, wie wir lesen.

Zu möglichen Zukunftsvorstellungen, stellt Pinkus die Fragen, ob Szenarioplanung selbst eine narrative Form ist. Sie zeigt uns ein von Shell veröffentlichtes Zukunftsszenario. Diese grafische Darstellung der Zukunft unterscheidet sich nicht sehr von der Gegenwart, da Shell hier lediglich Öl durch Elektrizität ersetzt hat und die Strukturen intakt bleiben. Pinkus hat jedoch noch kein wirklich „spekulatives“ Narrativ über die Zukunft gefunden. Sie findet die Darstellungen einer postapokalyptischen Welt in Science Fiction über Klimawandel (Cli-Fi) eher einfallslos, obwohl sie einräumt, dass es Ausnahmen gibt, wie etwa den Biopunk-Roman The Windup Girl (2009) des amerikanischen Schriftstellers Paolo Bacigalupi. Cli-Fi bietet jedoch keine Sprache oder Sprachform, um sich mit dem durch Klimawandel verursachten Chaos auseinanderzusetzen.

Welche Arten von Fantasien erlauben es uns schließlich, das „Nachher“ zu bezeichnen? Das Thema einer post-Erdöl-Zukunft sollte vom Klimawandel getrennt werden. Tatsächlich lässt sie Klimawandel beiseite, wenn sie versucht, Erdöl zu erzählen, eine Substanz, die wir erst sehen können, wenn sie an die Oberfläche gelangt oder durch imaginäre Querschnitte. Wie würde eine Welt nach dem Erdöl aussehen?

Narrativ I Upton Sinclair I Pier Paolo Pasolini I Ende der Kohle I Untergrund I Schnittdarstellung I Psychoanalyse I Szenarioplanung I Cli-Fi